Erkundung des Säule der Ernährungssouveränität “Arbeiten mit der Natur”: ein Überblick über empirische Fälle in der wissenschaftlichen Literatur

Ernährung bedeutet Überleben und ist damit eine unserer wichtigsten Beziehungen zur Natur. Lebensmittel sind jedoch nicht nur das bloße Produkt aus Kulturpflanzen, dahinter stehen eine Vielzahl von Beziehungen, die unsere Werte, Lebensstile und Kulturen prägen. Gleichzeitig hat die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren und mit ihnen umgehen, Auswirkungen auf den Naturschutz.

Die Beziehung zwischen Ernährung und Natur ist ein intensiv diskutiertes Thema in der Wissenschaft. Um diese Beziehungen zu erforschen, existieren einige Ansätze, unter anderem die Idee der Ernährungssouveränität. Der Fokus dieses basisdemokratischen und politisch engagierten Paradigmas liegt nicht nur darauf wo unser Essen herkommt, sondern auch darauf wie es produziert wird. In ihrem kürzlich erschienenen Artikel behandeln Benavides-Frias et al. (2023) dieses, von La Vida Campesina als wie folgt beschriebene Paradigma: “das Recht der Völker auf gesunde und kulturell angemessene Lebensmittel, die mit ökologisch vertretbaren und nachhaltigen Methoden erzeugt werden, und ihr Recht, ihre eigenen Lebensmittel- und Landwirtschaftssysteme zu definieren” (Nyéléni 2007). Ernährungssouveränität besteht aus sechs Säulen, darunter die “Arbeit mit der Natur”, welche vor allem die Beziehung zwischen Mensch und Natur, sowie die dringende Notwendigkeit von Nachhaltiger Land- und Ressourcennutzung zum Schutz von Biodiversität und Ökosystemfunktionen betont. 

Diese sechste Säule war im Fokus einer systematischen Literaturrecherche von Benavides-Frias et al. (2023) mit dem Ziel zu analysieren, inwieweit die Beziehungen zwischen Ernährung und Natur in der Literatur zur Ernährungssouveränität berücksichtigt werden und welche Themen vorkommen.

Sie untersuchten zweiundneunzig Artikel, von denen sechs in spanischer Sprache verfasst waren und sich auf die ortsbezogene Forschung zur Ernährungssouveränität konzentrierten. Das Ergebnis ist ein Kodierungsschema mit zwei übergreifenden Themen: Praktiken und Nutzung natürlicher Ressourcen und sozial-ökologische Bedingungen im Zusammenhang mit den Praktiken. Jedes Thema wurde dann, wie in der folgenden Abbildung dargestellt, in vier Unterthemen unterteilt:

Die am häufigsten behandelten Themen des ersten Themenkomplexes waren die Ablehnung von intensiven, industriellen Landwirtschaftsmethoden, die Bedeutung von ökologischem Landbau, Landflucht, sowie die Dringlichkeit, den Verlust von traditionellem ökologischem Wissen rückgängig zu machen. Ernährungssouveränität ist ein politisches Paradigma und setzt damit auch einen Fokus auf den persönlichen Kampf der Menschen für ein Recht auf Ernährung und der Sicherung ihrer Existenzgrundlagen. Die Forschung thematisiert ebenso die zugrundeliegenden Ursachen von Problemen mit Ernährung-Natur Beziehungen, wie zum Beispiel wirtschaftliche und politische Strukturen, welche die Landwirtschaft in Richtung Intensivierung drängen. Basierend auf diesen Ergebnissen kommen Benavides-Frias et al. (2023) zu dem Schluss, dass “dieses Paradigma daher für Forscher*innen interessant ist, welche das Bedürfnis haben, engagierte politische Forschung über Ernährung zu betreiben.”

Die wichtigsten bereichsübergreifende Themen des zweiten Themenkomplexes (sozial-ökologische Konditionen) waren die Vielzahl an Mensch-Natur Beziehungen durch traditionelles ökologisches Wissen, sowie die damit verbundene Diversität an Werten. In der Literatur über Werte waren “instrumentelle Werte, also der Wert der Natur für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, am häufigsten vertreten. Die Nahrung ist in der Tat ein Mittel für das menschliche Überleben”. (Benavides-Frias et al., 2023). Beziehungsorientierte oder intrinsische Werte wurden seltener gefunden, und wenn sie erwähnt wurden, waren sie mit instrumentellen Werten vermischt.

Zu den weniger ausgearbeiteten Themen gehörten nichtlandwirtschaftliche extraktive Tätigkeiten, traditionelles Wild, Jagd, Ernte, Fischerei und natürliche Prozesse (z.B. Bestäubung). Auch Naturschutz könnte weiter entwickelt und mit agroökologischer Forschung verknüpft werden. Hier lag der Fokus bisher mehr auf Saatgut und Boden und könnte auf die allgemeine Erhaltung von Biodiversität von Agroökosystemen erweitert werden. Die Verbindung zwischen Ernährungssouveränität und Agrarökologie hat sich erst in jüngster Zeit herausgebildet, und die Einbeziehung agrarökologischer Rahmenbedingungen könnte zum Wissen über die “Arbeit mit der Natur” beitragen. Der Artikel von Benavides-Frias et al. (2023) schlägt vor, sich in Zukunft auf diese Themen zu fokussieren, indem der sozial-ökologische Charakter von Agroökosystemen mehr in Betracht gezogen wird. 

Eine weitere Erkenntnis des Artikels ist, dass nur wenige wissenschaftliche Arbeiten transdisziplinär forschen, und somit lokale Akteure kein Teil der Forschungsgruppen waren. Weitere Forschungsarbeiten sollten in inter- und transdisziplinären Teams unter Einbeziehung lokaler Perspektiven durchgeführt werden, um lokal angepasste Lösungen für komplexe Probleme zu finden, wie hier im Bereich Ernährung und Natur.

Das Verständnis, dass Lebensmittel aus den vielfältigen Interaktionen und Eigenschaften von Arten entstehen, wird es ermöglichen, die Komplexität des Paradigmas der Ernährungssouveränität weiter zu entwirren, das darauf abzielt, nicht nur für unser Recht auf Nahrung, sondern für die Erhaltung des Lebens zu kämpfen.

Camila Benavides-Frias, Stefan Ortiz Przychodzka, Isabel Díaz-Reviriego, Elisa Oteros-Rozas, Leonie Burke, and Jan Hanspach (2023) Exploring the “works with nature” pillar of food sovereignty: a review of empirical cases in academic literature, AGROECOLOGY AND SUSTAINABLE FOOD SYSTEMS Doi: https://doi.org/10.1080/21683565.2023.2288318

 

Der Artikel ist hier frei verfügbar: 
https://www.bioculturaldiversity.de/wp-content/uploads/2023/11/Exploring-the-works-with-nature-pillar-of-food-sovereignty-a-review-of-empirical-cases-in-academic-literature.pdf

 

Weitere Zitierungen:
Nyéléni. 2007. DECLARATION OF NYÉLÉNI Sélingué, Mali: Forum for Food Sovereignty. Accessed December 11,2023: https://nyeleni.org/IMG/pdf/DeclNyeleni-en.pdf

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