English version below!
In unserem Forschungsprojekt beschäftigen wir uns mit biokultureller Diversität in Agrarlandschaften des globalen Südens. Biokulturell bedeutet, die Vielfalt des Lebens in all seinen Erscheinungsformen, inklusive aller ökologischen, kulturellen und sprachlichen Ausprägungen, zu betrachten. Das Konzept wird in der Regel mit der traditionellen Art und Weise in Verbindung gebracht, wie indigene Menschen mit ihrer natürlichen Umwelt interagieren. Daher wurde es bislang vor allem auf indigene Bevölkerungsgruppen im globalen Süden angewandt und in dieser Hinsicht beforscht.
Ich wollte daher wissen, wie es eigentlich bei uns in Deutschland um biokulturelle Betrachtungsweisen bestellt ist. Dafür habe ich mich auf Initiativen und Projekte konzentriert, in der sich langfristig und ohne expliziten wissenschaftlichen Forschungsanspruch oder finanzielle Interessen, Menschen aus allen Gesellschaftsgruppen für die biokulturellen Belange in Deutschland einsetzen. Dazu musste ich zunächst herausfinden, ob es überhaupt welche gibt, die sich explizit oder implizit auf dieses Konzept beziehen. Ich habe also nach Initiativen gesucht, die sich auf sozial-ökologische Interaktionen (d.h. Mensch-Umwelt-Interaktionen), aus einer Systemperspektive, sowie einer ortsbezogenen kulturellen Perspektive heraus, konzentrieren. Die Initiativen sollten also möglichst lokal relevant sein und auf lokalen Werten, Wissen und Praktiken aufbauen.
Dafür habe ich eine strukturierte Google-Suche durchgeführt, bei der ich nach bestimmten Schlagwörtern und deren Kombinationen gesucht habe. Herausgekommen sind 52 Initiativen, welche sich der genannten Definition teils mehr, teils weniger gut unterordnen lassen.
Ich hätte eigentlich erwartet, dass es viele solcher Initiativen in Deutschland gibt, da so ziemlich die gesamte Natur Deutschlands, wie in den meisten europäischen Ländern, ein Produkt intensiver Interaktionen zwischen der Gesellschaft und ihrer natürlichen Umgebung ist. Es gibt kaum noch „unberührte“ Natur. Es gibt vielmehr verschiedene Kulturlandschaften, welche durch menschliche Nutzung und Pflege überhaupt erst entstanden sind und nur durch sie erhalten bleiben können, wie z.B. die Heidelandschaft. Auch neue „Wildnisgebiete“ sind erst durch menschliches Zutun (wieder) entstanden.
Nur wenige Initiativen benennen Biokulturelle Vielfalt explizit
Als ich diese Initiativen genauer betrachtet habe, habe ich jedoch festgestellt, dass nur 2 der 52 Initiativen das Konzept der biokulturellen Diversität direkt erwähnen. Und diese lassen sich beide der Organisation Slow Food Deutschland unterordnen. Alle anderen bedürfen genauerer Betrachtungen und sind sich wohl nicht bewusst, dass sie in die Kategorie „biokulturelle Initiativen“ gezählt werden könnten.
Erhalt von Biodiversität ist das häufigste Ziel
Die am häufigsten genannten Ziele sind der Erhalt von Nutzpflanzen- und Tierarten, sowie der klassische Naturschutz (ohne Bezug zur Landwirtschaft). Alle anderen Ziele (s. Graphik) sind ähnlich verteilt. Knapp 70 Prozent der Initiativen verfolgen jedoch zwei oder mehr Ziele gleichzeitig.
Anschließend habe ich mich gefragt, ob die Ziele einer Initiative auch mit einem bestimmten Vielfaltsverständnis einhergehen. Die meisten Initiativen streben nämlich den Erhalt einer oder mehrerer Formen von Vielfalt, wie z.B. Biodiversität oder kultureller Vielfalt an. Dabei fand ich heraus, dass es fast der Hälfte der Initiativen vorrangig um die Bewahrung und Förderung der Biodiversität der nicht menschlich genutzten Natur geht. Das Ziel Naturschutz ist daher konsequenterweise am häufigsten verknüpft mit Biodiversität. Für knapp ein Viertel der Initiativen ist dagegen die landwirtschaftliche Vielfalt (Agrobiodiversität) wichtiger. Neunzehn Prozent der Initiativen haben keinen Vielfaltsbezug.
Die meisten Initiativen sind auf nationaler Ebene aktiv
Es gibt auch starke Unterschiede zwischen den Größen der Gebiete, in denen die Initiativen agieren. Die meisten Initiativen sind auf nationaler Ebene tätig (ca. 60 Prozent). Auf regionaler Ebene (z.B. Bundesländer) sind es 21 Prozent. Auf lokaler Ebene (z.B. in einzelnen Städten oder Gemeinden) sind es nur etwa 19 Prozent. Rund 10 Prozent arbeiten zusätzlich auf internationaler Ebene. Generell ist die thematische Breite auf der nationalen und globalen Ebene größer als auf der lokalen Ebene. Die lokalen Initiativen konzentrieren sich meist auf weniger einzelne Themen, wie auf der folgenden Graphik zu sehen.
Die meisten Initiativen beschäftigen sich mit Interaktionen zwischen Mensch und Natur
Nur wenige Initiativen betrachten die Natur und menschliche Kultur als untrennbare Einheit. Die meisten beziehen sich eher auf Wechselwirkungen zwischen den Themen Natur und Kultur. Beispielsweise wird die Abhängigkeit des Menschen vom Wald anerkannt und auch, dass der Wald des menschlichen Schutzes bedarf, aber dass Mensch und Wald eine untrennbare Einheit sind, wird nicht behauptet. Dies ist dagegen häufiger der Fall bei der Betrachtung indigener Kulturen des globalen Südens (Elands et al. 2012). Viele Initiativen in Deutschland stellen die Beziehung sogar eher als einseitig dar, sodass entweder die Natur Einfluss auf den Menschen hat, oder (und das deutlich häufiger), der Mensch auf die Natur. Ein Viertel der Initiativen stellt die Themen sogar als zwei jeweils für sich stehende Einheiten dar, ohne erkennbaren Bezug zueinander. Dass dies auch für andere westliche Kulturräume gilt, wird auch durch das Ergebnis einer Studie von Elands et al. (2015) nahegelegt, in der das Konzept der biokulturellen Diversität anhand von 20 europäischen Städten untersucht wurde. Auch hier wurden meist Biodiversität und kulturelle Diversität von interviewten Personen separat diskutiert.
Und wie geht es jetzt weiter?
Die Liste der Initiativen ist bestimmt nicht vollständig. Einige Initiativen sind anhand dieser Methode, oder den verwendeten Schlagwörtern möglicherweise nicht zu finden. Es kann also nur ein Trend aufgezeigt werden, eine Tendenz dazu, wie populär, oder bekannt, oder wichtig das Konzept in Deutschland ist. Und die Tendenz ist ziemlich deutlich, dass diese Betrachtungsweise noch sehr unbekannt ist und in den gesellschaftlichen Initiativen kaum Anwendung findet. Auch ist der lokale Bezug in Deutschland nicht sehr ausgeprägt, da die meisten Initiativen auf nationaler Ebene tätig sind. Möglicherweise sind jedoch gerade die kleinen, lokalen Initiativen im Internet nicht gut repräsentiert und fallen daher in dieser Analyse durch das Raster.
Das Ganze wirft natürlich auch viele weitere Fragen auf. (Was) würde es helfen, das Konzept der biokulturellen Diversität mit seiner ganzheitlichen Betrachtungsweise in Deutschland vermehrt zu verbreiten? Was würde das verändern und wem oder was würde es nützen? Lässt sich das auch auf alle anderen europäischen Länder übertragen? Wie ist dort die Lage bislang? Diese und weitere Fragen werden mich noch eine Weile beschäftigen. Zu gegebener Zeit werde ich mehr berichten.
How biocultural are initiatives in Germany?
By ANNIKA DREWS-SHAMBROOM
In our research project, we are working on biocultural diversity in agricultural landscapes of the global South. Biocultural means looking at the diversity of life in all its manifestations, including all ecological, cultural and linguistic expressions. The concept is usually associated with the traditional ways in which indigenous people interact with their natural environment. As a result, it has been primarily applied to and researched in relation to indigenous populations in the Global South.
I therefore wanted to know if biocultural approaches are actually present in Germany too. For this purpose, I focused on initiatives and projects in which people from all social groups are committed to biocultural concerns on a long-term basis and without explicit scientific research claims or financial interests. To do this, I first had to find out whether there are any at all that explicitly or implicitly refer to this concept. So I looked for initiatives that focus on social-ecological interactions (i.e. human-environment interactions), from a systems perspective, as well as a place-based cultural perspective. Thus, initiatives should be as locally relevant as possible, and build on local values, knowledge, and practices.
I conducted a structured Google search, looking for specific keywords and their combinations. The result was 52 initiatives, some of which fit the above definition more, some less well.
I would actually have expected that there are many such initiatives in Germany, since pretty much all of Germany’s nature, as in most European countries, is a product of intense interactions between society and its natural environment. There is hardly any “untouched” nature left. Rather, there are various cultural landscapes, which were created by human use and care in the first place and can only be preserved by them, such as the heath landscape. New “wilderness areas” have also only (re)emerged through human intervention.
Only few initiatives explicitly name biocultural diversity
However, when I looked more closely at these initiatives, I found that only 2 of the 52 initiatives directly mention the concept of biocultural diversity. And these are both part of the organization Slow Food Germany. All the others need closer examination and are probably not aware that they could be counted in the category “biocultural initiatives”.
Preserving biodiversity is the most common goal
The most frequently mentioned goals are the preservation of crop and farm animal species, as well as classical nature conservation (without reference to agriculture). All other goals (see graph) are similarly distributed. However, nearly 70 percent of the initiatives pursue two or more goals simultaneously.
Subsequently, I asked myself whether the goals of an initiative also go hand in hand with a certain understanding of diversity. Most initiatives aim to preserve one or more forms of diversity, such as biodiversity or cultural diversity. I found that almost half of the initiatives are primarily concerned with preserving and promoting the biodiversity of non-human nature. Consequently, the goal of nature conservation is most often linked to biodiversity. For just under a quarter of the initiatives, on the other hand, agricultural diversity (agrobiodiversity) is more important. Nineteen percent of the initiatives have no reference to biodiversity.
Most initiatives are active at the national level
There are also strong differences between the sizes of the areas in which the initiatives operate. Most initiatives operate at the national level (about 60 percent). At the regional level (e.g. federal states), the figure is 21 percent. At the local level (e.g. in individual cities or communities), it is only about 19 percent. Around 10 percent also work at the international level. In general, the thematic broadness is greater at the national and global level than at the local level. The local initiatives tend to focus on fewer individual topics, as can be seen in the following graph.
Most initiatives deal with interactions between humans and nature
Few initiatives actually consider nature and human culture as an inseparable entity. Most refer rather to interactions between the issues of nature and culture. For example, the dependence of humans on forests is acknowledged, and also that forests need human protection, but that humans and forests are an inseparable entity is not asserted. In contrast, this is more often the case when considering indigenous cultures of the global South (Elands et al. 2012). Many initiatives in Germany even tend to present the relationship as one-sided, so that either nature has an impact on humans, or (and this much more frequently), humans have an impact on nature. A quarter of the initiatives even present the issues as two separate entities, without any discernible relationship to each other. That this is likewise true for other Western cultural areas is also suggested by the result of a study by Elands et al. (2015), who examined the concept of biocultural diversity looking at 20 European cities. Here too, biodiversity and cultural diversity were mostly discussed separately by interviewees.
What next?
The list of initiatives is certainly not exhaustive. Some initiatives may not be found using this method, or the keywords used. So only a trend can be shown, a tendency to how popular, or known, or important the concept is in Germany. And the tendency is quite clear that this way of looking at things is still not well known and hardly used in societal initiatives in Germany. Also, the local reference is not very pronounced, since most initiatives are active on a national level. It is possible, however, that it is precisely the small, local initiatives that are not well represented on the Internet and therefore fall through the cracks in this analysis.
Of course, the whole thing raises many other questions. (What) would it help to increasingly disseminate the concept of biocultural diversity with its holistic approach in Germany? What would it change and who or what would it benefit? Can the same questions be asked for other European countries? What is the situation there so far? These and other questions will keep me busy for a while. I will report more in due course.
Quellen/Sources
Elands, B.H.M., van Koppen, C.S.A.. (2012) Biocultural diversity in the Netherlands: from ecologically noble savages towards biocultural creatives. In: Arts B., van Bommel S., Ros-Tonen M., Verschoor G. (eds) Forest-people interfaces. Wageningen Academic Publishers, Wageningen.
Elands, B.H.M., Wiersum, K.F., Buijs, A.E. et al. (2015) Policy interpretations and manifestation of biocultural diversity in urbanized Europe: conservation of lived biodiversity. Biodivers Conserv 24, p. 3347–3366.
Hong, S.K. (2014) Philosophy and Background of Biocultural Landscapes. In: Hong SK., Bogaert J., Min Q. (eds) Biocultural Landscapes. Springer, Dordrecht.
Maffi, L. (2007) Biocultural diversity and sustainability. In Jules Pretty et al. (eds.) The SAGE Handbook of Environment and Society, Sage, UK. p. 267-277.
Sterling, E.J., Filardi, C., Toomey, A. et al. (2017) Biocultural approaches to well-being and sustainability indicators across scales. Nat Ecol Evol 1, p. 1798–1806.
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